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06. Dezember 2024

Europa nimmt die Wiedergutmachung in Angriff

Zahlreiche europäische Länder haben heute Massnahmen zur Aufarbeitung und Verhinderung von Kindsmissbrauch am Europarat in Strassburg vorgestellt. Die Konferenz basiert auf unser Justice Initiative Motion für mehr Kinderschutz in Europa.

Im Januar 2024 hat sich der Europarat in Strassburg auf Initiative der Justice Initiative ohne Gegenstimme für die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in Europa nach Schweizer Vorbild ausgesprochen.

Die Resolution 2533 ruft alle Mitgliedsstaaten dazu auf, den Überlebenden Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Auf diese Worte sollen Taten folgen! Deshalb hat die Guido Fluri Stiftung nun gemeinsam mit Partnern eine grosse Konferenz am Europarat organisiert, an der über die Umsetzung der Resolution diskutiert und das Schweizer Modell der Wiedergutmachungsinitiative vorgestellt wurde. Denn in vielen Ländern Europas steht die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle noch ganz am Anfang.

Zur Medienmitteilung der Guido Fluri Stiftung

Bundesrat Beat Jans ruft zum Handeln auf

Über 100 Minister:innen aus ganz Europa, NGO-Vertreter:innen und Opferorganisationen sind der Einladung nach Strassburg gefolgt, um gemeinsam den Weg zur europäischen Aufarbeitung voranzutreiben. Es war eine besondere Ehre, dass auch Beat Jans und Vertreter:innen des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) vertreten waren. «Das Wohl der Kinder zu schützen und zu fördern, ist eines der wichtigsten und nobelsten Dinge, für die man sich politisch überhaupt engagieren kann», meinte Justizminister Jans in seiner Rede an die Anwesenden und weiter: «Sie haben es in der Hand, denn als Politikerinnen und Politiker können Sie Recht schaffen und es auch ändern. Mit dem Hinschauen, Zuhören, Aufarbeiten von Kindsmissbrauch und einem verbesserten Schutz der Kinder können Sie viel zur Stärke Ihres Landes beitragen.»

Die Worte von Bundesrat Jans erhalten noch mehr an Bedeutung im Lichte der alarmierenden Ergebnisse einer Studie von Protect Children, einer Partnerorganisation der Justice Initiative. Nebst schwerwiegenden Folgen für die psychische Gesundheit der Betroffenen konnte die Studie aufzeigen, dass viele Überlebende grosse Schwierigkeiten bei der Offenlegung des Missbrauchs haben. Obwohl 67 Prozent der Opfer ihre Erlebnisse offenlegten, berichtete fast die Hälfte erst 11 Jahre nach der Gewalterfahrung darüber. Selbst nach der Offenlegung von sexueller Gewalt in der Kindheit haben 69 Prozent der Überlebenden keine Unterstützung erhalten, und 89 Prozent berichten, dass die Offenlegung nicht zu einer polizeilichen Untersuchung geführt hat. Aufarbeitung in Europa tut somit dringend Not.

UN-Sonderbeauftragte lobt die Schweiz

Auch Dr. Najat Maalla M’jid, die UN-Sonderbeauftragte zu Gewalt gegen Kinder, sprach am Europarat zu den Konferenzteilnehmenden. Sie lobte dabei explizit die Schweiz und ihre Wiedergutmachungsinitiative. Und betonte die Bedeutung der darauf basierenden Justice Initiative: «Wir wissen, dass die Unterbringung in Heimen die Kinder verschiedenen Formen von Gewalt aussetzen und zu schlechten und lang anhaltenden Ergebnissen für die Kinder führen kann.» Darum sei die Resolution des Europarates, die eine Aufarbeitung der Missbrauchsfälle nach Schweizer Vorbild fordert, so wichtig: «Ich begrüsse die in dieser Resolution enthaltenen Leitlinien zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder in öffentlichen, privaten und religiösen Einrichtungen», so die UN-Sondergesandte in ihrer Rede.

Europäische Länder präsentieren Massnahmen

An der Tagung traten auch zahlreiche Minister:innen und Politiker:innen auf, welche in ihren Ländern die Aufarbeitung vorantreiben, und präsentierten Initiative und Lösungen. Unter anderen die französische Abgeordnete Karine Lebon. Sie wird in den kommenden Wochen einen Gesetzesvorstoss eingeben, damit die Kinder der Insel La Réunion, die von ihren Familien getrennt wurden und dabei oftmals massive Gewalt erfuhren, eine Entschädigung erhalten. Oder Adnan Delić, Minister für Arbeit und Sozialpolitik der Föderation Bosnien und Herzegowina. Er kündigte eine Gesetzesänderung zur Verbesserung des Kindesschutz-Systems an: «Zu unseren Schwerpunkten gehört die Stärkung des Pflegekinderwesens durch Gesetzesänderungen, und in der Einrichtung einer Aufsichtsbehörde sehen wir eine Möglichkeit, die Rechte der Kinder, ihre Sicherheit und ihren Schutz vor Gewalt, insbesondere in Langzeit-Sozialeinrichtungen, angemessen zu überwachen.»

Ebenso präsentierte Pater Hans Zollner SJ, Direktor des Instituts für Anthropologie der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom und der wichtigste Experte der katholischen Kirche im Bereich Kindesschutz, eine neue Initiative. Sogenannte «Developing Teams» sollen in Zusammenarbeit mit lokalen Fachleuten in Bistümern Süd- und Südosteuropas jene Faktoren evaluieren, die sich positiv auf die Konzeption und Umsetzung von Safeguarding-Massnahmen vor Ort auswirken. Die Kosten für den Aufbau und die ersten Untersuchungen der lokalen Developing Teams werden von der Guido Fluri Stiftung getragen.

Die Aufarbeitung geht weiter

Für mich war es unglaublich bewegend und motivierend zu sehen, wieviel innerhalb nur eines Jahres nach Annahme der Resolution in Europa umgesetzt wurde. Innerhalb kurzer Zeit konnte die Justice Initiative viel erreichen und eine Bewegung in Gang setzen, die über Jahrzehnte andauern kann – für die Opfer und die kommenden Generationen.

An dieser Stelle möchte ich mich bei all den Rednerinnen und Rednern bedanken, welche Ihre Erfahrungen mit den Anwesenden geteilt haben, ebenso bei allen Partnern, welche diese wegweisende Konferenz ermöglicht haben.

Es ist an der Zeit, dass alle Missbrauchsüberlebenden in Europa Gerechtigkeit erfahren.